Der Zunftschäfer
Sie haben nichts mit flötenblasenden Hirten, mit barocken Lämmer-Betreuern und nichts mit Wächtern von Wacholderheiden begrasenden Wollknäuel-Völkern, auch nichts mit naturheilkundigen, weltfremden Sonderlingen zu tun. Auch wohnen sie nicht in zweirädrigen Blockkärren, auch kommen sie ohne zottelige, auf Pfiff-Befehle gehorchende, flinkbeinige Struppis aus. Auch sind sie nicht das ganze Jahr unterwegs; einmal das Land rauf und dann wieder runter mit wolligem Volk. Überhaupt haben sie mit der redlichen Hirtenzunft nur wenig gemeinsam. Das einzige, was sie mit den leider immer mehr aus unserem Landschaftsbild verdrängten Schäfersleuten gemeinsam haben, ist ihre Kluft - die aber nur "aufpoliert". Die Rede ist von den Betreuern der Bockstädter Böcke in der Stettener Bockzunft, den Zunftschäfern.
Wie gesagt: Auf keinen dieser Zunftschäfer treffen die oben angeführten Berufsmerkmale der im "echten Leben" hantierenden Heuberg- oder Albschäfer zu. Brauchen auch gar nicht. Es genügt allemal, wenn sie beim Narrensprung vor der stattlichen Zahl der "Böcke" gravitätisch einherschreiten und allein durch ihre äußere Erscheinung manchem Zuschauer am Umzugsweg das bewundernde und lobende "Guck au, an ächta Schäfr" entlocken. Und so quasi die leider vom Aussterben bedrohte, jahrhundertalte redliche Zunft der Schafhüter Urständ feiern lassen. Zumindest immer wieder auf sie aufmerksam machen. Allerdings, und das mag erstaunen, sind "unsere" Schäfer keine Narrentypen im ursächlichen Sinn. Bestenfalls Fasnetsfiguren, denen der Narrenpolizisten, Kräutermännle, Nachtwächter und ähnlichem beizuordnen, denn nirgends an ihrem "Häs" findet man typische Narrenelemente, die da beispielsweise sind: Narrenkappe, Glöckle, Eselsohren, Hahnenkamm, Fuchsschwanz und so weiter. Doch gerade ohne diese Embleme werden die "Schäfer", Narrenpolizisten und andere gerade das "Tüpfelchen", das "Merk-Würdige" für die Fasnetsgruppe, zu der sie gehören. Die Bockstädter Bockherde wäre ohne ihren Schäfer, ohne das gewisse "Etwas", das eben Herde und Schäfer zu einer fastnachtlichen Einheit werden läßt, nicht denkbar. Andererseits wäre der Schäfer ohne Bockherde eine nicht existenzfähige Fasnetsfigur. Nun aber genug der allgemeinen Töne. Schauen wir uns jetzt die bisherigen aktiven Schäfer der Bockzunft etwas näher an. Als erster Schäfer ist Thomas Straub zu nennen. Ihm gebührt das Verdienst, den Typus des Bockstädter Schäfers geprägt zu haben. Der Schäfer Thomas mit seiner schlanken Gestalt überragte seine Böcke um Kopfhöhe, nur der Schwarze Bock war größer. Sein Häs, orginale Schäferklamotten, fiel auf, genauso sein robustes Gesicht, aus dem flinke Augen seine Herde musterten. Ein schwarzer Schlapphut saß auf einer strähnigen Perücke, die dem Thomas fast ein düsteres Aussehen verlieh. Zu seinem Geschirr gehörte eine echte Schippe, die vernickelt war und die er zu allen Auftritten jeweils auf Hochglanz polierte. Sie wußte er bei manchem bockigen Böcklein zurechtweisend einzusetzen. Seine "Schäflein" hatten Respekt vor ihm. Auch ohne "Hund" führte er seine Herde, weit ausschreitend, durch die schwäbisch-alemannische Fasnets-Landschaft. In Josef Rieder, auch Sepp genannt, bekam die Bockherde einen Schäfer, wie aus einem Bilderbuch. Sepp schritt nun einer Herde von mehr als 100 Böcken voran. Gekleidet in eine echte Heuberg-Schäfer-Montur, den pelzgefütterten schweren Mantel lose um die breiten Schultern gelegt, auf dem mit welligem Haar geschmückten Haupt einen breitrandigen Hut gesetzt, der sein braungebranntes Naturburschengesicht beschattete. Wie Thomas Straub war auch Sepp Rieder Zunftschäfer mit Leib und Seele und sich stolz dessen bewußt. Genau wie der Würde seines Amtes, deswegen fast eitel stets auf sein "gutes" Aussehen bedacht. Was ihm viele Zuschauer bei den auswärtigen Narrensprüngen mit fleißigem Fotografieren lohnten, das Fernsehen nicht ausgenommen. Dann führte Rolf Müller das Amt des Zunftschäfers aus. Ein anderer Typ als seine Vorgänger. Ein Pracht-Mannsbild war er schon der Rolf Müller, umsichtig, nüchtern und konsequent, stand er seinen Vorgängern in gar nichts nach Ab 2004 hält der langjährige Maskenträger Michael Cezanne die Bockherde im Zaum. |